„Ich glaube, dass gerade im Grenzraum sehr wichtig ist, dass man sich gegenseitig unterstützt. Verglichen mit der Zeit vor meiner Tätigkeit als Bürgermeister habe ich in dieser Hinsicht meinen Horizont sicherlich erweitert.“
Stefan Müller über sein ehrenamtliches Engagement als Bürgermeister der Gemeinde Blankensee und das Zusammenleben direkt an der deutsch-polnischen Grenze.
RAA perspektywa: Was leben für Menschen in Blankensee?
S. M.: In Blankensee wohnen in drei Ortsteilen ca. 580 Einwohner. Im Zuge eines Wettbewerbs haben wir vor zwei Jahren recherchiert, dass bei uns 11 Nationen leben. Die polnischen Bürger machen mit 14 Prozent prozentual die größte Gruppe aus. Ansonsten leben bei uns aber auch Israelis, Kolumbianer, Holländer, d. h. viele verschiedene Nationen, ein sehr bunter Mix.
RAA perspektywa: Wie beeinflusst dies den Charakter eines Ortes bzw. Ihre Arbeit als ehrenamtlicher Bürgermeister?
S. M.: Ich glaube, dass hat überhaupt keinen Einfluss, weil 90 Prozent der zugezogenen Bürger der deutschen Sprache mächtig sind. Die verbleibenden 10 Prozent bringen jemanden mit, wenn sie zu mir kommen, der dolmetscht. Also Sprachprobleme sind da überhaupt nicht erkennbar und ich denke, dass es da auch keine sozialen Reibungspunkte gibt, weil die Bürger, die hierher ziehen, sich gut integrieren bzw. auch am Ortsleben teilnehmen und in Vereinen aktiv sind.
RAA perspektywa: D. h. die Sprachbarriere bei Ihnen im Ort ist nicht so groß?
S. M.: Also mit dem einen oder anderen gibt es natürlich auch sprachliche Hindernisse. Was mich aber am meisten beeindruckt, das sind die Kinder. Wir haben bei unseren polnischen Bürgern ganz viele Kinder im Grund- und Realschulalter, bei denen ich sage, dass sie nach zwei Jahren in der Schule perfekt Deutsch sprechen und im laufenden Gespräch mit ihren Eltern einfach ins Polnische wechseln. Für mich ist das faszinierend, wie die Kinder hier zweisprachig aufwachsen. Das ist sehr wichtig. Denn nur wenn man der deutschen Sprache vollständig mächtig ist, kann man hier eine tolle Ausbildung genießen. Ich finde, dass gerade die Kinder die wichtigsten Multiplikatoren auf diesem Weg sind. Eltern haben sicherlich auch altersbedingt da mehr Probleme die deutsche Sprache zu erlernen. Und wenn wir Zugezogene haben, die schon im Rentenalter sind, haben wir die größten Probleme in der Zweisprachigkeit, wobei man feststellt, dass es mit Händen und Füßen auch sehr gut geht.
RAA perspektywa: Kommen wir noch einmal zu Ihrer Tätigkeit zurück. Was war denn für Sie die Motivation, sich ehrenamtlich zu engagieren?
S. M.: Nach vielen Jahren ohne Ehrenamt, in denen mir das Gemeinwohl, der Staat, eine Menge gegeben hat, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es jetzt an der Zeit war, etwas zurück zu gegeben. Ich glaube, das war eigentlich der einzige Beweggrund für mich zu kandidieren. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass man gleich beim ersten Mal gewählt wird. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich die Sache ein bisschen blauäugig angegangen bin, was das Zeitmanagement betrifft. Ich glaube, man muss unendlich viel Zeit mitbringen, wenn man es richtig machen will. Und man sollte eine Menge Ideen im Kopf haben, die man realisieren will. Ansonsten ist man da am falschen Platz.
RAA perspektywa: Sie sind im Ort der ehrenamtliche Bürgermeister, aber sie sind sicherlich nicht der einzige im Ort, der sich ehrenamtlich engagiert?
S. M.: Garantiert nicht. Wir haben ein sehr aktives Vereinsleben und große Vereine, die die kulturellen Veranstaltungen in den Ortsteilen organisieren, z. B. den Dorfklub in Blankensee, der ehrenamtlich fast das ganze Kulturleben im Ortsteil Blankensee gestaltet. Wir haben in Pampow den Kulturverein, der dasselbe dort übernimmt, z. B. die Dorffeste, die wir jährlich begehen oder in Blankensee das Sport- und Kinderfest. Ich finde es wichtig, dass man diese Feste feiert, das man nicht damit aufhört oder nur alle zwei oder drei Jahre feiert, sondern das hier mit geringem finanziellen Aufwand und mit vielen ehrenamtlich engagierten Bürgern Feste organisiert werden. Wir gestalten das Programm selber, d. h. die Bürger sind auch die Hauptakteure auf den Freilichtbühnen. Und genau da sieht man dann auch viele unserer polnischen Bürger wieder. Im Übrigen ist das Engagement der Vorstände in diesen Vereinen gar nicht hoch genug einzuschätzen.
RAA perspektywa: Gab es in der Zeit, seitdem Sie ehrenamtlicher Bürgermeister sind, Ereignisse, die Sie in besonders schöner Erinnerung behalten haben? Haben Sie durch Ihre Tätigkeit auch Ihren Horizont erweitert?
S. M.: Ich hatte in der Zeit, bevor ich Bürgermeister geworden bin, ganz wenig in Polen zu tun. Ich bin weder zum Zigarettenkaufen noch zum Tanken über die Grenze gefahren. Als Bürgermeister habe ich auch die aktive Partnerschaft mit der Gemeinde Dobra übernommen, die vor allem durch meinen Vorgänger belebt wurde. Mit der Bürgermeisterin Frau Dera nehmen wir gegenseitig an Veranstaltungen teil, d. h. wir fahren zum Beispiel zum Erntedankfest nach Polen und eine polnische Delegation kommt zu uns. Dass diese Partnerschaft gut läuft, zeigt auch der Amtsfeuerwehrtag, den wir dieses Jahr in Blankensee hatten. Wettkampfmannschaften aus Brandenburg und Dobra haben daran teilgenommen, unsere polnischen Partner auch mit einer Frauenmannschaft, was mich sehr beeindruckt hat. Danach haben wir natürlich auch zusammen gefeiert. Da wächst zusammen, wer gemeinsam an der Grenze lebt. Ich glaube, dass ist gerade im Grenzraum sehr wichtig, dass man sich gegenseitig unterstützt. Verglichen mit der Zeit vor meiner Tätigkeit als Bürgermeister habe ich in dieser Hinsicht meinen Horizont sicherlich erweitert.
RAA perspektywa: Gibt es noch andere Aktivitäten, die Sie mit der Gemeinde Dobra verbindet?
S. M.: Es gibt ein Rosenfestival in Dobra, das auch durch mich als Bürgermeister von Blankensee mitbegleitet wird. Deutsche Rentner können in einem Projekt einen Polnisch-Sprachkurs absolvieren. Das Rosenfestival zeigt, dass es engagierte Bürger gibt, die daran teilnehmen wollen. Gerade Gärtnerei, Floristik und Handarbeit passt sehr gut zu unseren „jungen“ Rentnern. Gemeinsam mit anderen deutschen Gemeinden nehmen wir außerdem schon seit vielen Jahren am „Dobra-Fussballcup“ mit einer Kinder-Mannschaft teil.
RAA perspektywa: Wer engagiert sich im Ort? Eher die Jüngeren oder die Älteren? Oder ganz querbeet?
S. M.: Beim Rosenfestival sind es sicherlich eher die Älteren, die sich dabei auch tagsüber beteiligen können. Beim Fußballturnier oder der Feuerwehr ist das ganz querbeet. Denn wenn die Kinder nach Dobra zum Fußballturnier mitfahren, kommen natürlich auch die Eltern oder Großeltern mit. Danach gehen dann alle in Dobra in die Pizzeria und das finden alle natürlich ganz nett.
RAA perspektywa: Ganz allgemein. Was würden Sie jemanden antworten, wenn er Sie fragen würde, warum er sich ehrenamtlich engagieren sollte?
S. M.: Grundsätzlich muss das erst einmal jeder für sich selbst entscheiden. Ich glaube in Deutschland geht es uns allen sehr, sehr gut. Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft. Es wird über alles Mögliche und Unmögliche gemeckert. Aus meiner Sicht oftmals unberechtigt. Ich kann jedem empfehlen, einmal eine Reise nach Asien zu machen. Da haben wir ganz andere Lebensverhältnisse. Selbst in Polen sieht das nicht immer so glorreich wie hier bei uns aus und ich glaube, viele jammern auf hohem Niveau. Ich halte Ehrenamt auch deshalb für wichtig, um nicht ab 18 Uhr vor dem Fernsehen zu sitzen und mir jeden Abend das Programm anzutun. Ich glaube, dass man seinen Horizont dadurch erweitern, Dinge in seinem Umfeld verändern und umsetzen kann. Außerdem leben die kleinen Orte vom ehrenamtlichen Engagement. Tyssen-Krupp wird bei uns keine Werft bauen. Reichtum durch Gewerbesteuern werden wir also niemals erlangen. Wir können nur mit einem schönen Wohnumfeld mit einer funktionierenden Infrastruktur und mit ein wenig Kulturleben punkten, um für unsere Einwohner vernünftige Lebensverhältnisse zu schaffen. Wir haben seit Jahren gleichbleibende oder leicht steigende Einwohnerzahlen und Zuzug sowohl aus Deutschland als auch aus Polen. In diesem Jahr werden bei uns drei neue Häuser gebaut. Das ist für so ein Dorf wie Blankensee ausreichend. Wir werden nie groß werden, aber wir müssen es schaffen für unsere Bürger vernünftige Verhältnisse zu schaffen, wo jeder gerne lebt. Für den Rentner, der gemeinsam Kaffee trinken möchte, für die Jugendlichen, die gerne angeln gehen oder beispielsweise junge Männer, die gerne Fußball spielen oder sich bei der Feuerwehr engagieren wollen. Ich glaube, wenn man ein bisschen etwas anbietet, stirbt ein Dorf wie das unsere nicht, sondern man lebt hier sehr angenehm.
RAA perspektywa: Gibt es Bereiche, wo Sie sich noch mehr ehrenamtliches Engagement wünschen würden?
S. M.: Die gibt es natürlich grundsätzlich immer. Ich suche zum Beispiel immer noch jemanden, der mehr mit Kindern unternehmen möchte. Es ist wichtig, dass sich die Kinder nicht selbst überlassen werden, sondern Angebote für sie vor Ort gemacht werden. Ehrenamtliches Engagement erwartete ich auch bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr. Ich würde mir wünschen, dass auch polnische Bürger für den Gemeinderat kandidieren. Denn nur wer sich zur Wahl stellt, kann gewählt werden und kann auch mitgestalten. Sich nur an den Biertisch hinzusetzen und zu meckern hat aus meiner Sicht keinen Wert, da ich dadurch nichts verändere.
RAA perspektywa: Wir sind hier an der Grenze. Aus Ihrer Erfahrung, welche Unterschiede gibt es zwischen Deutschen und Polen?
S. M.: Ich glaube, der Unterschied zwischen Deutschen und Polen ist nicht groß. Man kann beobachten, dass bei der Zusammenarbeit der Gemeinden und auch auf höherer Ebene es in Polen die Tendenz gibt, Entscheidungen in Warschau abnicken zu lassen. Eine derartige Bürokratie kennen wir in Deutschland nicht. Ansonsten glaube ich, dass polnische Bürger genauso wie wir ticken und das einzige, was uns unterscheidet die Sprache ist. Größere Probleme sehe ich nicht, auch nicht, dass jemand voreingenommen in Gespräche geht. Das hat sich geändert und das gibt es bei uns nicht. Das hat auch mit der Flüchtlingskrise 2015 zu tun. Wer nach Köln fährt, sagt, dass wir hier im Schlaraffenland leben. Die polnischen Bürger, die bei uns wohnen, arbeiten in Deutschland oder in Polen. Alle gehen einer Beschäftigung nach. Alle erarbeiten sich ihr Geld und liegen niemanden auf der Tasche. Und das ist wichtig. Viele integrieren sich und diejenigen, die das wegen der Arbeit nicht tun, halten ihr Grundstück sauber und das sorgt auch für sozialen Frieden im Ort. Keiner fängt über den Gartenzaun Streit mit seinem Nachbar an, nur weil er aus einem anderen Land kommt. Und ansonsten wäre es natürlich unsere Aufgabe, dass wir in Konfliktsituationen schlichtend eingreifen.
RAA perspektywa: Welche Pläne haben Sie noch als ehrenamtlicher Bürgermeister?
S. M.: Wir haben jemanden bei uns in der Gemeinde, der sechs Jahre in Polen gearbeitet hat, und auch der polnischen Sprache mächtig ist. Er fungiert als Multiplikator und steht im ständigen Kontakt mit der Gemeinde in Dobra. Wenn wir unseren Veranstaltungskalender für das kommende Jahr besprechen, ist die Gemeinde Dobra auch mit „im Boot“ und auch vor Ort. Wir versuchen uns mit unseren polnischen Partnern abzustimmen, dass wir nicht zeitgleich Veranstaltung durchführen. Das ist sicherlich sinnvoll. Außerdem ist es mein Ziel nach den Kommunalwahlen in Polen mit der Gemeinde Dobra auf dem gleichen Niveau weiterzuarbeiten. Wir werden uns auch weiterhin zu den wichtigen Terminen im Jahr besuchen. Die Zusammenarbeit ist gewachsen und wird immer besser.
Stefan Müller lebt seit 1996 in Blankensee. Ehrenamtlich hat er sich auch schon vor seinen Amtsantritt als Bürgermeister der Gemeinde Blankensee engagiert. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre steht er bei Gericht als Schöffe zur Verfügung. Stefan Müller hat vier Kinder und ein Enkelkind.